Römer-Infopunkt
In Stadecken-Elsheim wurden im 20. Jahrhundert Funde aus unterschiedlichen Phasen der römischen Zeit am Rhein entdeckt, die auf eine Besiedlung dieses Gebietes hinweisen. Sie geben Auskunft über die Art der Besiedlung und deren Veränderung im Lauf der Jahrhunderte. Im Folgenden sollen einige dieser Funde näher erläutert werden.
Der spektakulärste, weil noch zu sehende, Fund ist ein römischer Sarkophag aus Rotsandstein, der Ende der 1950er Jahre in dem Gewann „Im Horn“ (die heutige Weinlage „Stadecker Spitzberg“) gefunden wurde.[1] Er wurde bei landwirtschaftlichen Arbeiten entdeckt, blieb in Privatbesitz und wurde im neuerbauten Aussiedlerhof des Grundstückbesitzers ausgestellt.[2] Heute steht er im Hof der Burgscheune der Burg Stadeck.[3] Seine Länge beträgt 2 Meter und er ist 0,68 Meter breit.[4] Der Sarkophag enthielt ein weibliches Skelett mit Beigaben neben dem linken Oberschenkel. Da eine der Längswände eingestürzt war, wurden diese und das Skelett beschädigt. Trotzdem ließen sich noch folgende Beigaben bergen, die sich heute im Landesmuseum Mainz befinden: Das Fragment eines Döschens aus Bein (Knochen), welches mit umlaufenden Wülsten verziert wurde; Fragmente von vier Nadeln aus Bein; eine Nähnadel aus Bronze; eine hellgrüne, sechseckige Glasperle und ein Amphorenstöpsel. Der Steinsarg wird in das 3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. datiert.[5] Das Grab gehört möglicherweise zu einer nahegelegenen villa rustica, da kleine Gräberfelder für die Bewohner solcher Gutshöfe in deren unmittelbarer Umgebung üblich waren.
Hinweise auf römische Gutshöfe in der Gemarkung von Stadecken-Elsheim wurden an verschiedenen Stellen gefunden.
In den 1930er Jahren wurden beim Roden in dem Gewann „In der Weid“ (Richtung Essenheim) römische Gebäudereste entdeckt.[6] Konkret wurden Mauersteine, Mauerverputz, Trümmer eines Bodens aus Trass – einer Gesteinsart, die häufig Zement beigemischt wird –, Dachziegel und Heizkacheln gefunden, die auf eine Hypocaust-Anlage innerhalb des Gebäudes schließen lassen.[7]
Anfang des 20. Jahrhunderts berichtete Karl Schumacher in der Mainzer Zeitschrift von einem anderen römischen Gebäude mit Hypocaustum, welches er selbst in der Nähe einer Quelle über dem Hieberg (Gemarkung Elsheim) gesehen hatte.[8]
1930 wurde nordwestlich der Elftausend-Mägde-Mühle der obere Teil eines römischen Doliums gefunden. Da Dolia meist in villae rusticae nachzuweisen sind, lässt sich hier ein noch unentdeckter Gutshof vermuten.[9] Über den genauen Fundort und nähere Fundumstände ist leider nichts bekannt, was eine genaue Lokalisierung der möglichen villa erschwert.[10] Datiert wird das Gefäßfragment in das 3. oder den Anfang des 4. Jahrhunderts.[11]
In Stadecken wurde in dem Gewann „Zehn Morgen“ eine römische Münze des Magnentius (Gegenkaiser 350-353) gefunden.[12] Auf dem Avers (Vorderseite) der Münze befindet sich folgende Umschrift: D(ominus) N(oster) MAGN//TIUS P(ius) F(elix) AUG(ustus). Auf dem Revers (Rückseite) sind zwei Victoriae abgebildet, die einen Kranz oder ein Schild[13] halten, in dem die Inschrift VOT(is) V MULT(is) steht. Die unvollständige Umschrift lautet: VICT(oria) DD (dominorum) NN (nostrorum) AUG(usti). Die Münze wird in den Zeitraum von 351 bis 353 datiert.[14] Magnentius war römischer Truppenkommandeur unter dem für den Westen des Reiches zuständigen Kaiser Constans (337-350). 350 ließ sich Magnentius im französischen Autun von der Armee zum Kaiser ausrufen, da diese mit der Steuer- und Heerespolitik des amtierenden Kaisers nicht einverstanden waren. Constans wurde auf der Flucht vor Magnentius‘ Truppen erschlagen.[15]
Bei Stadecken befand sich in valentinianischer Zeit (Valentinian I. römischer Kaiser 364-375) möglicherweise ein römischer Burgus, eine Art turmartig erbautes Kleinkastell, meistens mit Umwehrung. Innerhalb des im Mittelalter wüstgewordenen Dorfes Hedenesheim, dessen Gebiet sich heute in der Gemarkung von Stadecken befindet, befand sich außerdem eine villa rustica, deren Wohngebäude vermutlich spätestens im 11. Jahrhundert mit der Kirche St. Peter und dem Friedhof des Dorfes überbaut wurde.[16] Nach den dort gemachten Funden zu urteilen, war dieser Gutshof von der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. bis mindestens in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts bewohnt.[17] Die Anlage lässt sich möglicherweise zu einer Axialhofanlage rekonstruieren, die aus dem repräsentativen Wohngebäude, einem sich zur Selz hin erstreckenden Hof und mehreren Wirtschaftsgebäuden bestand.[18] Der künstlich aufgeschüttete, etwa 6 Meter hohe Hügel, auf dem die Kirche noch bis ins 19. Jahrhundert stand, ist nach den oberflächlich sichtbaren Funden römischen Ursprungs. Hier könnte der Burgus gestanden haben. Die Maße des Hügels von 60 x 40 Metern lassen diese Vermutung zu. Der Kernbau des bekannten Burgus in Eisenberg hat zum Vergleich eine Fläche von 26 x 19 Metern.[19]
Valentinian I. startete etwa 369 ein Festungsbauprogramm im Neckargebiet und am gesamten Rhein um diese Grenzregion des römischen Reichs zu stabilisieren. Spätantike Autoren wie Ammianus Marcellinus oder Symmachus beschreiben dieses Programm.[20] Bereits zu Beginn seiner Regierungszeit schickten die Alamannen eine Gesandtschaft zu Valentinian I. um das zu jener Zeit übliche Jahrgeld zu verlangen – eine Zahlung von Naturalien und Edelmetallen der römischen Kaiser an die Alamannen um diese von ihrem Reichsgebiet fernzuhalten. Als Valentinian I. nicht bereit war die Abgaben in der bisherigen Höhe zu leisten, kam es in der Folge immer wieder zu Alamannen-Einfällen in die römischen Gebiete am Rhein, wo sie unter anderem 367 Mainz plünderten. Ammianus Marcellinus, ein Zeitgenosse des Valentinian I., schrieb dazu: „[…] da führte ein alamannischer Königssohn namens Rando einen lange gehegten Plan aus und fiel heimlich mit einer leichtbewaffneten Plündererbande in Mainz ein, das damals keine Besatzung hatte. Zufällig geriet er in die Feier eines alljährlich stattfindenden Festes der christlichen Gemeinde und konnte ungehindert die schutzlose Menge von Männern und Frauen aller Stände mit wertvollem Hausrat mit sich fortführen.“[21] Aufgrund dieser Einfälle zum Handeln gezwungen, schaffte es Valentinian I. durch sein Festungsbauprogramm die Region zu sichern.[22] Ammianus Marcellinus schrieb: „Valentinian schmiedete bedeutende und nutzbringende Pläne. Den ganzen Rhein, angefangen von Rätien bis zur Meerenge des Ozeans, ließ er mit großen Dämmen befestigen und auf der Höhe Militärlager und Kastelle, ferner in dichten Abständen an geeigneten und günstigen Stellen Türme errichten, soweit sich die gallischen Länder erstreckten. Zuweilen wurden auch Gebäude jenseits des Stroms angelegt, wo er das Land der Barbaren berührt.“[23]
Bei den Burgi scheint es sich um Kontrollpunkte gehandelt zu haben, um das unruhig gewordene Grenzgebiet und besonders wichtige Positionen wie Flussübergänge und Mündungen besser schützen zu können.[24] Ein Burgus in Stadecken könnte eventuell auch darauf hindeuten, dass es in jener Zeit einen Selzübergang an dieser Stelle gab.
Schlussendlich lassen die datierbaren Funde von Stadecken-Elsheim eine Besiedlung mit mehreren villae rusticae im 3. und 4. Jahrhundert vermuten. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts kam es durch den möglichen Bau eines Burgus eventuell zu einem Zuzug militärischer Einheiten in die Gemarkung.
Es wird ein Römer-Infopunkt an der Wüstung von Hedenesheim errichtet. Dabei handelt es sich um eine Informationsbesucherplattform in der Rekonstruktion einer römischen Weinlaube in der Ecke des antiken Siedlungsplatzes sowie eine digitale Aufbereitung der Informationen.
Verfasser: Lutz Luckhaupt
[1] Mikler, Hubertus: Die römischen Funde aus Bein im Landesmuseum Mainz. Montagnac 1997 (= Monogr. instrumentum 1), S. 133. Zum Fundort siehe auch Müller-Wilke, Michael / Oldenstein, Jürgen: Die ländliche Besiedlung des Umlandes von Mainz in spätrömischer und frühmittelalterlicher Zeit. Ber. RGK 62 (1981), S. 261-316, hier S. 292-293. Zum Funddatum siehe auch Stümpel, Bernhard: Bericht des Landesdienstes für Vor- und Frühgeschichte im Reg.-Bez. Rheinhessen und im Kreis Kreuznach für die Zeit vom 1. April 1957 bis 31. März 1959. MZ 54 (1959), S. 58-83, hier S. 77.
[2] Stümpel 1959, S. 77.
[3] Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 18.2: Kreis Mainz-Bingen. Verbandsgemeinden Bodenheim, Guntersblum und Nieder-Olm. Bearb. v. Dieter Krienke. Worms 2011, S. 332.
[4] Stümpel 1959, S. 77.
[5] Mikler, S. 133. Müller-Wille und Oldenstein datieren den Sarkophag in die 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts. Siehe dazu Müller-Wille / Oldenstein, S. 292-293.
[6] Neeb, Ernst: Jahresbericht des Altertums-Museums der Stadt Mainz für die Zeit vom 1. April 1933 bis 1. April 1934. MZ 29 (1934), S. 66-76, hier S. 72. Das Gewann ist auch bekannt als „Ober der Weide“/“Die Weide“/“Unter der Weide“. Siehe dazu Müller-Wille / Oldenstein, S. 292-293. Leonhard Schumacher nennt das Gewann „In der Weis“. Siehe dazu Schumacher, Leonhard: Das Gebiet der Verbandsgemeinde Nieder-Olm in römischer Zeit (1. Jh. v. Chr. – 4. Jh. n. Chr.). In: Spiess, Karl-Heinz (Hrsg.): Nieder-Olm. Der Raum der Verbandsgemeinde in Geschichte und Gegenwart. Alzey 1983, S. 32-64, hier S. 40.
[7] Neeb, S. 72.
[8] Schumacher, Karl: Archäologische Karte der Umgebung von Mainz. MZ 3 (1908), S. 19-40, hier S. 23. Siehe auch Bayer, Heinrich: Die ländliche Besiedlung Rheinhessens und seiner Randgebiete in römischer Zeit. MZ 62 (1967), S. 125-175, hier S. 170. Siehe auch Schumacher, Leonhard, S. 40.
[9] Für Informationen über Dolia siehe Hanel, Norbert: Schwerkeramik. In: Fischer, Thomas (Hrsg.): Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie. Stuttgart 2001, S. 300-302.
[10] Schermer, Heinz: Bericht der rheinhessischen Bodendenkmalpflege für die Jahre 1950/51 bis 1952/53. MZ 48/49 (1953/54), S. 41-69, hier S. 60.
[11] Müller-Wille / Oldenstein, S. 292-293.
[12] Schumacher, Leonhard, S. 40-41. Gewann auch bekannt als „In den Zehnmorgen“. Siehe dazu Stümpel, Bernhard: Bericht des staatlichen Amtes für Vor- und Frühgeschichte Mainz für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1976. MZ 73/74 (1978/79), S. 311-363, hier S. 354. Für den Fundort siehe auch Müller-Wille / Oldenstein, S. 292-293.
[13] Für die Deutung als Schild siehe Stümpel 1978/79, S. 354.
[14] Schumacher, Leonhard, S. 40-41.
[15] Gottlieb, Gunther: Constans 337-350. In: Clauss, Manfred (Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian. München 2005, S. 315-321, hier S. 319.
[16] Haupt, Peter / Rieth, Dominic: Stadecken, Hedenesheim und die Kirchenwürstung St. Peter. Die römischen Wurzeln eines im 13. Jahrhundert gegründeten Dorfes. Berichte zur Archäologie in Rheinhessen und Umgebung, Sonderband 2 (2020), S. 16 und S. 30.
[17] Ebd., S. 13.
[18] Ebd., S. 14.
[19] Haupt, Peter: Die Rolle des Kastells Alzey in der valentinianischen Rheinverteidigung. In: Haupt, Peter / Jung, Patrick (Hrsg.): Alzey und Umgebung in römischer Zeit. Alzey 2006 (= Alzey. Geschichte der Stadt, Bd. 3), S. 74-78, hier S. 76-77. Für das Erbauungsdatum der Kirche St. Peter siehe Landesamt Denkmalpflege, S. 332. Siehe auch Haupt / Rieth 2020, S. 32. Auch eine vor- und frühgeschichtliche Entstehung des Hügels als eisenzeitlicher Grabhügel ist möglich. Siehe dazu Ebd. S. 31.
[20] Haupt, S. 78.
[21] Ammianus Marcellinus. Römische Geschichte übersetzt von W. Seyfarth, XXVII 10, 1-2.
[22] Hoof, Christine van: Valentinian I. 364-375. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian. München 2005, S. 341-347, hier S. 344.
[23] Ammianus Marcellinus XXVIII 2, 1.
[24] Haupt, S. 74.